(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
Die Staatssymbolik des neuen Russland
Laufzeit 2002 - 2006, Ansprechpartnerin: Isabelle de KeghelIn der neueren Forschung wird im Zuge des „cultural turn“ immer häufiger moniert, dass die Fixierung auf die Analyse von Texten, wie sie bisher in der Politik- und Geschichtswissenschaft üblich war, aus verschiedenen Gründen zu kurz greift . Erstens wird diese Herangehensweise dem bereits vor einigen Jahren diagnostizierten Paradigmenwechsel von einer „logozentrischen“ zu einer „ikonozentrischen“ Politik nicht gerecht.Zweitens beruhen auf Texte fokussierte Analysen häufig auf der Prämisse, der Mensch sei ein vorwiegend rational handelndes Wesen, wie sie insbesondere für den rational choice-Ansatz charakteristisch ist. Die emotionalen Bedürfnisse des Menschen auszublenden, erscheint jedoch kurzsichtig. Denn gerade auf der Tastatur der Gefühle wird gerne gespielt, wenn es darum geht, die Bevölkerung für bestimmte Politiken zu mobilisieren.
Dass enge Bezüge zwischen „Nation und Emotion“ bestehen, haben insbesondere einige historische Studien inzwischen herausgearbeitet. Bei der Erforschung der geschichtlichen und politischen Relevanz von Emotionen liegt es nahe, die Analyse von Bilderwelten stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Zudem wird in der Kulturwissenschaft die in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommene Relevanz von Bildern diagnostiziert und zunehmend ein „visual“ oder „pictorial turn“ in der noch immer vorrangig auf verbale Repräsentationen konzentrierten Forschung eingefordert.
Der kulturwissenschaftlich ausgerichtete Zweig der Politologie hat auf dieses Postulat reagiert und beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit verschiedenen Formen der Visualisierung von Wertesystemen. Dies ist nicht zuletzt eine Reaktion darauf, dass Politik in der „medialen Erlebnisgesellschaft“ stark auf die Vermittlung von Inhalten durch Film und Fernsehen angewiesen ist. Zugleich schärfte die Beschäftigung mit bewegten Bildern den Blick für die Relevanz älterer, auf statischen Bildern basierenden Repräsentationsformen, etwa der Staatssymbolik.
Im Gegensatz zum relativ neuen Phänomen von Film und Fernsehen kann die Verwendung von Staatssymbolik auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken. Sie ist im Rahmen symbolischer Politik ein wichtiges „Bindemittel“, Herrschafts- und Mobilisierungsinstrument – sowohl in der Massendemokratie als auch in autoritären Systemen. „Denn wer im Besitz der Symbole ist, hat die Macht; und wer die Macht hat, braucht Symbole“ (Jan Kubik).
Durch die Umbrüche in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas seit 1989, die mit einem tiefgreifenden Wertewandel und mit der Gründung zahlreicher neuer Staaten einherging, erhielt die Erforschung der Staatssymbolik neuen Auftrieb. Denn der Systemwechsel in bereits existierenden Ländern und die Gründung neuer Staaten auf dem Territorium der Sowjetunion, der ?SSR und Jugoslawiens machten die Reform bzw. Neuentwicklung von Symbolen der Staatlichkeit erforderlich. Ihnen kam bei der Repräsentation der staatlichen Identität und häufig auch beim nation-building eine wichtige Funktion zu.
Lässt man die gängigen Definitionen von Staatssymbolik Revue passieren, so lassen sich grob zwei Begriffsbestimmungen unterscheiden. Eine engere Definition nennt Flagge, Hymne und Wappen als Hauptelemente der Staatssymbolik. An diesem Terminus orientiert sich die vorliegende Studie, weil hiermit der Kern staatlichen Selbstverständnisses erfasst werden kann.
Dass der Staatssymbolik in der Transformationsphase der postkommunistischen Länder eine so wichtige Bedeutung zukam, hat viel mit ihren Funktionen zu tun: der Repräsentation des Staates nach außen und der Identitätsbildung nach innen. Außenpolitisch versinnbildlichte die reformierte oder neu entwickelte Staatssymbolik die Souveränität der betreffenden Staaten, innenpolitisch diente sie der Integration der Staatsbürger/innen.
Staatssymbolik ist dementsprechend eng mit dem Vorgang der Inklusion und Exklusion verbunden: Sie signalisiert, was als das Eigene aufgefasst und was als das Fremde ausgeschlossen wird. Erstens vermittelt ein Staat mit Hilfe seiner Symbolik, in welche historische Tradition er sich stellt und von welchen Traditionen er sich distanziert. Zweitens macht Staatssymbolik deutlich, wer zum Demos (also zum Staatsvolk) gehört und wer nicht. Die vorgestellte Gemeinschaft des Demos kann als Gesamtheit der Staatsbürger/innen definiert sein (wie etwa in Russland), aber auch auf eine Ethnie beschränkt sein und andere Ethnien ausschließen, (wie etwa in Kroatien, wo die serbische Bevölkerungsgruppe symbolisch und später auch qua Verfassung aus dem Staatsvolk ausgeschlossen wurde).
Die intensive Diskussion über Staatssymbolik in Umbruchszeiten hat damit zu tun, dass diese Spielart der visuellen Repräsentation zu den Kristallisationspunkten kollektiver Identität gehört, die der französische Historiker Pierre Nora als lieux de mémoire bezeichnet hat. Der Wandel der Staatssymbolik lässst sich in Anlehnung an den französischen Ethnografen Arnold van Gennep als „rite de passage“, als „Übergangsritual“ verstehen. Dieser Begriff wurde ursprünglich zur Bezeichnung der Rituale geprägt, die Individuen vollziehen, wenn sie einen „Orts-, Zustands-, Positions- oder Altersgruppenwechsel“ durchmachen, etwa bei der Initiation, die ihrer Aufnahme in die Gemeinschaft der Erwachsenen dient, oder bei der Hochzeit. Der US-amerikanische Anthropologe Victor Turner übertrug van Genneps Begriff des Übergangsrituals von Individuen auf Gesellschaften, die eine liminale Phase – also eine Schwellenphase – durchschreiten. Eine solche Gesellschaft verliert seines Erachtens für eine gewisse Zeit ihre festgefügte Struktur und wird zu einer amorphen „Communitas“. Diese befindet sich in einem Schwebezustand, in dem alte Werte nicht mehr gelten und neue noch nicht gefunden sind. In solchen Phasen des gesellschaftlichen Übergangs kann es bei Kollektiven – ähnlich wie bei Individuen – zu Zeiten der Sprachlosigkeit kommen, weil für die neu geschaffenen Realitäten noch keine passenden Ausdrucksformen gefunden worden sind. Der russländische Anthropologe Serguei Oushakine bezeichnet diesen Zustand als „symbolische Aphasie“. In einer solchen Situation der „Sprachlosigkeit“ kommt es vor, dass auf alte symbolische Formen zurückgegriffen wird, um diesem Defizit an Ausdrucksmöglichkeiten nach dem Zusammenbruch der alten symbolischen Ordnung entgegenzuwirken.
Im Folgenden soll anhand der späten Sowjetunion bzw. der Russländischen Föderation ein Beispiel für die Neukodierung der Staatssymbolik in einer Übergangszeit analysiert werden. Dabei interessiert zum einen die Frage, welche Akteur/innen an diesem Vorgang der Neukodierung beteiligt waren, welche Strategien sie dabei verfolgten und welche Identitätsangebote sie mit Hilfe der von ihnen vorgeschlagenen Symbole machten. Zum anderen wird untersucht, ob diese Angebote den Erfordernissen der Repräsentation der russländischen Staatlichkeit und der Inklusion möglichst breiter Bevölkerungskreise entsprachen.
Publikationen
Isabelle de Keghel: Die Staatssymbolik des neuen Russland Traditionen - Integrationsstrategien – Identitätsdiskurse, LIT-Verlag (Münster) 2009
Isabelle de Keghel: Die Staatssymbolik des neuen Russland im Wandel. Vom antisowjetischen Impetus zur russländisch-sowjetischen Mischidentität, Arbeitspapiere und Materialien der Forschungsstelle Osteuropa Nr. 53 (Dezember 2003)
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