(65% der vollen Wochenarbeitszeit, Entgeltgruppe 13 TV-L)
ab dem 01. Januar 2025 befristet für 3 Jahre. Bewerbungsfrist: 31.10.2024
Diskussion: Was ist „Osteuropa“? Geschichte und Gegenwart eines widersprüchlichen Konzepts
19 Uhr, Bibliothek der Weserburg Museum für moderne Kunst
Anastasia Tikhomirova, Hans-Christian Petersen, Artur Weigandt, Klaas Anders
Ukrainische Schriftsteller*innen in Zeiten des Krieges
18:00 Uhr, Europapunkt Bremen
Oxana Matiychuk, Susanne Schattenberg
Wissenswertes
Karel Trinkewitz oder der Superhero und sein Künstler
Zum Auftakt der Vortragsreihe „Kinder des Oktober“
Quelle: Archiv der Forschungsstelle Osteuropa, FSO 02-060-91.
„Das ganze Leben ist eine Collage“, heißt es in den Erinnerungen von Karel Trinkewitz. Trinkewitz war ein obsessiver Künstler. Dutzende Collagen, Hunderte Zeichnungen und Bändchen, von Hand beklebt und bemalt, Tausende Haikus und Zehntausende Seiten Tagebuch finden sich im Nachlass im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa Bremen. Es ist ein wucherndes Textgewebe, das sich nicht zuletzt durch einen provozierenden Witz auszeichnet – wie in seiner undatierten Lenin-Collage, die den Flyer zur soeben beginnenden FSO-Veranstaltungsreihe „Kinder des Oktobers“ ziert.
In dieser Collage steht Lenin mittig auf einem weinroten Buchdeckel mit dem tschechischen Titel SPISY („Schriften“). In seiner floralen Ornamentik indes ruft der Buchumschlag eher einen sentimentalen Roman auf denn marxistisch-leninistische Botschaften. Lenins Kopf ist auf den Körper von Superman geklebt, Mantel und ausgestreckter Arm immerhin erinnern an die über halb Europa verbreitete Ikonographie des in Bronze gesetzten Revolutionsführers.
Die Brenngläser der Pop-Kultur, so Dietmar Dath in seinem Standardwerk zum Superhelden, vergrößern und übersteigern Emotionen und Fantasien, bis diese aussehen, als wären sie Tatsachen. Gleichwohl haftet diesen fiktiven Fakten etwas so erkennbar Gewaltsames und Gewolltes an, dass das Gegengift der ironischen Brechung mitgeliefert wird. Demselben Prinzip folgt unbewusst und ungewollt die hypertrophe Propaganda totalitärer Regime: Sie übersteigert die Lüge, bis daraus Grotesken eigener Realität werden.
Der 1931 geborene Karel Trinkewitz ertrug die Totalitarismen und ihre Propheten (Lenin) schon immer schlecht. Waren totale Ideen doch dafür verantwortlich, dass er als „Halbjude“ im deutsch besetzten Böhmen und Mähren die Schule verlassen musste, später als „Halbdeutscher“ in der Tschechoslowakei den Studienplatz verlor und noch später als Prager Dissident seine Heimatstadt verlassen musste. Er kam in Hamburg unter. Auf seinem „langen Marsch“ durch die Systeme, von Ost nach West, entdeckte Trinkewitz die populäre Kultur – und begann zu kleben: bunte Zeitungsreste auf Pappkugeln, schwarze Buchstaben auf Flaschen, altes Kartenmaterial auf Steine, glitzernde Popstars auf Holzrahmen. Lenin auf Superman.
Anders als etwa sein Pendant Batman ist Superman alias Clark Kent, comicgeboren im Krisenjahr 1938, ein natürlicher Halbgott und darum unangefochten von der Welt. Kein Self-made-Hero oder halbdunkler Selbstüberwinder. Ähnlich verstrahlt Lenin (die Propaganda-Figur) eine toxische Eindeutigkeit: Er ist der Self-made-Revoluzzer, ein konsequenter Putschist, Vater aller Revolutionstheorie sowie eines Superheldenuniversums namens Sowjetunion. Mit bissiger Ironie und zugleich folgerichtig klebt Trinkewitz Lenin und Superman (Uljanow und Kent) zusammen. Indem die Collage das eigentlich Unzusammengehörige verbindet, ist sie immer schon ironisch. In der Lenin-Superman-Zusammenfügung von Trinkewitz, der damit das unter der Hand Zusammengehörige vereint, zeigt sich die Collage als wahre Erhellungsmaschine. Als Splitterbild des ganzen Lebens.
Lesetipps:
Karel Trinkewitz: Das Leben ist eine Collage, Prag 1999.
Dietmar Dath: Superhelden, Stuttgart 2016.
Christine Gölz, Birgit Krehl, Alfrun Kliems (Hg.): „Die unerträgliche Leichtigkeit des Haiku“. Der Künstler Karel Trinkewitz, Wettin-Löbejün 2016.
Alfrun Kliems
„Das ganze Leben ist eine Collage“, heißt es in den Erinnerungen von Karel Trinkewitz. Trinkewitz war ein obsessiver Künstler. Dutzende Collagen, Hunderte Zeichnungen und Bändchen, von Hand beklebt und bemalt, Tausende Haikus und Zehntausende Seiten Tagebuch finden sich im Nachlass im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa Bremen. Es ist ein wucherndes Textgewebe, das sich nicht zuletzt durch einen provozierenden Witz auszeichnet – wie in seiner undatierten Lenin-Collage, die den Flyer zur soeben beginnenden FSO-Veranstaltungsreihe „Kinder des Oktobers“ ziert.
In dieser Collage steht Lenin mittig auf einem weinroten Buchdeckel mit dem tschechischen Titel SPISY („Schriften“). In seiner floralen Ornamentik indes ruft der Buchumschlag eher einen sentimentalen Roman auf denn marxistisch-leninistische Botschaften. Lenins Kopf ist auf den Körper von Superman geklebt, Mantel und ausgestreckter Arm immerhin erinnern an die über halb Europa verbreitete Ikonographie des in Bronze gesetzten Revolutionsführers.
Die Brenngläser der Pop-Kultur, so Dietmar Dath in seinem Standardwerk zum Superhelden, vergrößern und übersteigern Emotionen und Fantasien, bis diese aussehen, als wären sie Tatsachen. Gleichwohl haftet diesen fiktiven Fakten etwas so erkennbar Gewaltsames und Gewolltes an, dass das Gegengift der ironischen Brechung mitgeliefert wird. Demselben Prinzip folgt unbewusst und ungewollt die hypertrophe Propaganda totalitärer Regime: Sie übersteigert die Lüge, bis daraus Grotesken eigener Realität werden.
Der 1931 geborene Karel Trinkewitz ertrug die Totalitarismen und ihre Propheten (Lenin) schon immer schlecht. Waren totale Ideen doch dafür verantwortlich, dass er als „Halbjude“ im deutsch besetzten Böhmen und Mähren die Schule verlassen musste, später als „Halbdeutscher“ in der Tschechoslowakei den Studienplatz verlor und noch später als Prager Dissident seine Heimatstadt verlassen musste. Er kam in Hamburg unter. Auf seinem „langen Marsch“ durch die Systeme, von Ost nach West, entdeckte Trinkewitz die populäre Kultur – und begann zu kleben: bunte Zeitungsreste auf Pappkugeln, schwarze Buchstaben auf Flaschen, altes Kartenmaterial auf Steine, glitzernde Popstars auf Holzrahmen. Lenin auf Superman.
Anders als etwa sein Pendant Batman ist Superman alias Clark Kent, comicgeboren im Krisenjahr 1938, ein natürlicher Halbgott und darum unangefochten von der Welt. Kein Self-made-Hero oder halbdunkler Selbstüberwinder. Ähnlich verstrahlt Lenin (die Propaganda-Figur) eine toxische Eindeutigkeit: Er ist der Self-made-Revoluzzer, ein konsequenter Putschist, Vater aller Revolutionstheorie sowie eines Superheldenuniversums namens Sowjetunion. Mit bissiger Ironie und zugleich folgerichtig klebt Trinkewitz Lenin und Superman (Uljanow und Kent) zusammen. Indem die Collage das eigentlich Unzusammengehörige verbindet, ist sie immer schon ironisch. In der Lenin-Superman-Zusammenfügung von Trinkewitz, der damit das unter der Hand Zusammengehörige vereint, zeigt sich die Collage als wahre Erhellungsmaschine. Als Splitterbild des ganzen Lebens.
Lesetipps:
Karel Trinkewitz: Das Leben ist eine Collage, Prag 1999.
Dietmar Dath: Superhelden, Stuttgart 2016.
Christine Gölz, Birgit Krehl, Alfrun Kliems (Hg.): „Die unerträgliche Leichtigkeit des Haiku“. Der Künstler Karel Trinkewitz, Wettin-Löbejün 2016.
Alfrun Kliems
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